Coronaimpfung für Kinder und Jugendliche – ein Gespräch mit Dr. Sprenger – Teil 2

Die Impfung gegen Corona wird als entscheidender Faktor für die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie ins Treffen geführt. Von Kindern und Jugendlichen wird gefordert, sich impfen zu lassen, um einen Solidarbetrag für die Allgemeinheit zu leisten.

Dr. Sprenger: Hier werden Kinder und Jugendliche geframt, und das zum dritten Mal. Das erste Mal wurden Kinder als Treiber der Pandemie bezeichnet. Das stimmt nicht, das ist heute widerlegt.

Das zweite Mal hat man Kinder als bedrohte Gruppe dargestellt. Man redete Kindern und Jugendliche ein, dass sie gefährdet sind, obwohl sie ein tausendfach geringeres Risiko haben als über 80jährige. Die Jungen fühlen sich aber gleich bedroht wie die Älteren. Ich glaube, dass viele Kinder und Jugendliche ihr Risiko um mehr als das 100fache überschätzen. Eine korrekte Risikobewertung ist aber wichtig für ein Impfgespräch. Ich muss mein Risiko kennen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Dass Kinder und Jugendliche, aber auch deren Eltern, das Risiko maßlos überschätzen, ist eigentlich ein Versagen der Gesundheitsinformation.

Das dritte Framing passiert jetzt, mit der Forderung, dass Kinder und Jugendliche geimpft werden müssen – zum Selbstschutz und aus Solidarität. Dr. Mertens, Vorsitzender der STIKO, hat beides entkräftet: Erstens sind Kinder und Jugendliche nicht stark gefährdet und zweitens ist es ethisch nicht vertretbar, dass Kinder und Jugendliche sich solidarisch erweisen sollen, da gerade diese Altersgruppe durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wahrscheinlich den größten Schaden davongetragen hat.

Außerdem: Die 12- bis 15jährigen machen in Österreich 3% der Bevölkerung aus. Davon hat sich vermutlich ein Drittel bereits natürlich immunisiert, d.h. wir sprechen von 2 % der Bevölkerung. Wenn diese 2 % das Zünglein an der Waage sind, dann stimmt etwas nicht.

Ein anderes Argument, das Impfbefürworter gerne ins Treffen führen, bezieht sich nicht auf medizinische Aspekte, sondern auf gesellschaftliche und soziale Auswirkungen: Die Impfung erleichtert Kindern und Jugendlichen den Zugang zum gesellschaftlichen Leben. Ein Beispiel: Ist derzeit vor jedem Schwimmbadbesuch ein Test notwendig, würde dann der Nachweis der Impfung reichen. Auch das regelmäßige Testen in der Schule würde entfallen.

Bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass Jugendliche, die sich nicht impfen lassen möchten oder können und Kinder unter 12, die sich überhaupt nicht impfen lassen können, diskriminiert werden?

Dr. Sprenger: Ja, absolut. Es ist extrem unfair und aus vielen Gründen inakzeptabel. Die Kinder und Jugendlichen haben wir in Österreich in den letzten 1 ½ Jahren extrem unfair behandelt. Der Schaden ist enorm. Und wir sind nach wie vor rücksichtslos unterwegs. Die aktuelle Aussage des Bildungsministers, dass geimpfte Kinder und Jugendliche nicht mehr getestet werden, ist weder wissenschaftlich noch ethisch begründbar. Das ist nicht nur eine Impfpflicht durch die Hintertür, sondern auch eine weitere unnötige Polarisierung und Emotionalisierung im Bildungssystem. Hier wird aus politischen Gründen Druck ausgeübt. Die Indikation für eine Impfung muss eine medizinische oder gesundheitliche sein und niemals eine politische!

Zum Thema Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie gibt es von Ihnen eine häufig zitierte Aussage: „Die Kinder und Jugendlichen werden die meisten gesunden Lebensjahre verlieren.“

Dr. Sprenger: Ja, mit dieser Aussage verstöre ich immer alle. Aber eigentlich ist es offensichtlich. Die meisten Kinder und Jugendliche haben hoffentlich noch 80 oder mehr gesunde Jahre vor sich.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wir haben 1,7 Millionen unter 20jährige. Bildung ist eine der wichtigsten Determinanten für Gesundheit und alle Einschränkungen im Bildungssystem gefährden die Gesundheit. Gleiches gilt für die psychosozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie. Realistisch können wir davon ausgehen, dass 5% (eines/r von 20, oder 85.000) der Kinder und Jugendlichen durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ein bis zwei gesunde Lebensjahre verlieren, weil sie aufgrund der Pandemie früher ein Suchtverhalten zeigen, früher chronisch krank werden, sich weniger bewegen, schlechte Ernährungsverhalten entwickeln, die Kinderarmut steigt, usw. In Summe sind das 85.000 bis 170.000 verlorene gesunde Lebensjahre. Wenn man das mit den an oder mit Covid Verstorbenen gegenrechnet, wären das bei aktuell 11.000 Verstorbenen und der Annahme von 5 verlorenen (gesunden) Jahren deutlich weniger. Selbst wenn wir noch Long COVID miteinberechnen, zeigt sich, dass die Gruppe der Kinder und Jugendlichen die meisten gesunden Lebensjahre verlieren wird.

Abschließend ein Ausblick für den Herbst: Es wird befürchtet, dass es einen Anstieg der Erkrankungen geben wird und ungeimpfte Kinder und Jugendliche besonders stark betroffen sein könnten. Ist diese Sorge berechtigt?

Dr. Sprenger: Ja, Kinder und Jugendliche können an Corona erkranken. Ja, sie können sogar schwer erkranken, aber das ist extrem selten. Und ja, Kinder können andere – auch Erwachsene – mit Covid anstecken. Aber sie geben es in einem geringen Maß weiter als Erwachsene. Warum? Weil Kinder und Jugendliche meist weniger schwer erkranken und in drei Viertel der Fälle asymptomatisch sind, und somit eine geringere Virenlast haben.

Kinder und Jugendliche sind von SARS-CoV-2 nicht mehr bedroht als durch andere Erkältungsviren. Also bin ich der Meinung, dass man Kinder und Jugendliche nicht mit Maßnahmen vor Sars-Cov-2 schützen sollte, die mehr schaden als nutzen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Sars-CoV-2 gekommen ist, um zu bleiben. Es wird nicht verschwinden. Risikogruppen können durch die Impfung geschützt werden. Aber für Kinder und Jugendliche ist Sars-CoV-2 ein neues Coronavirus, mit dem das kindliche Immunsystem gut umgehen kann.

Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews!