Brauchen Kinder und Jugendliche Prüfungen, um zu lernen?

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Pro und Kontra

Die Mehrheit junger Menschen bereitet sich jährlich immer wieder auf Prüfungen in der Schule und Hochschule vor. Dabei investieren sie Kraft und Zeit. Folglich müssen für die Durchführung von Prüfungen jedes Mal viele Ressourcen bereit gestellt werden.  Dafür spricht folgendes:

  • Durch das Wiederholen des Lernstoffes wird dieser vertieft und Wissen gefestigt.
  • Man lernt in Stresssituationen handlungsfähig zu bleiben bzw. zu werden, was als Vorbereitung auf die spätere Arbeitswelt gesehen werden kann.

Aber:

  • Prüfungen ergeben Abschlussnoten, welche wiederum zu besseren oder schlechteren Zukunftsaussichten führen. Sie sind maßgeblich für die zukünftigen Erfolgschancen
  • Durch die standardisierten Prüfungsformate geraten Schüler und deren individuelles Lernen in den Hintergrund.
  • Fehler zu machen ist menschlich, dennoch werden diese Fehler in den Prüfungen negativ bewertet, also “bestraft“. Daher fällt es vielen Kindern schwerer aus ihren Fehlern zu lernen und sie trauen sich nicht mehr, welche zu machen. Dies führt dann zu einem eingeschränkten Lernprozess, da Fehler das Lernen und Verstehen begünstigen und nicht, wie scheinbar angenommen, einschränken.

Prüfungen sind Stress(tests)

Bis zu einem gewissen Grad ist Stress durchaus als positiv und produktiv einzuordnen, hier spricht man von Eustress. Stress kann aber auch sehr belastend wirken: Der sogenannte Dysstress kann auf Dauer krank machen. Psychisch kann er beispielsweise zu Depressionen und Angststörungen führen. Tinnitus oder sogar Herzinfarkt sind mögliche physische Folgen.

Besonders für Studierende bedeuten Prüfungen oft aufgrund des Schwierigkeitsgrads, des Umfangs der Inhalte, der Doppelbelastung Uni – Job, der Angst vor schlechten Noten und Angst vor Arbeitslosigkeit eine enorme Belastung. Laut der Juvenir-Studie 4.0 stehen Mädchen statistisch gesehen mehr unter Stress als Jungen.

Der Regensburger Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Franz-Dietrich Griesbach formuliert es so: „Eine häufig auftretende Gruppe psychischer Störungen sind sog. emotionale Störungen. Vor allem im Kindesalter kann eine emotionale Störung zu schwerwiegenden Problemen in der Entwicklung führen. Emotionale Störungen werden oft durch äußere Einflüsse mitbestimmt. Sind Kinder z.B. schon in frühen Jahren einem hohen Leistungsdruck in der Schule ausgesetzt und stehen ständig unter Stress, können sie soziale Ängste, Phobien, Trennungsangst oder auch Auffälligkeiten im Sozialverhalten entwickeln.“

Prüfungen abschaffen?

Immer wieder spannend ist die Debatte bezüglich der Abschaffung der Abitur bzw. Maturaprüfungen am Ende der 12- oder 13-jährigen Schullaufbahn. Es wird argumentiert, dass man das jahrelange Lernen und das Erbringen von Leistungen nicht auf gewisse große Prüfungen am Ende der Schullaufbahn runterbrechen sollte. Im Gegensatz dazu sagen die Befürworter*innen, dass sich die Abschlussnote nicht ausschließlich aus den Ergebnissen der Abiturprüfungen zusammensetzt, sondern die Leistungen der gesamten Oberstufe mit einbezogen werden. Somit wird das vorangegangene Argument entkräftet.

Des Weiteren bereitet die Vorbereitungsphase des Abiturs bzw. der Matura die Schüler*innen auf das spätere Leben vor. Zukünftig werden sie immer wieder vor herausfordernden Prüfungssituationen stehen. Außerdem zeigen die Schüler*innen so, dass sie in der Lage sind, gezielte Vorbereitungen vorzunehmen und sich auf die Ausnahmesituationen einlassen können.

Die Prüfungen am Ende der Schulzeit dienen auch als Vorbereitung auf die Universität. Dort gleichen die Prüfungen vom Stoffumfang und Lernaufwand denen des Abiturs bzw. der Matura, fallen aber meist noch aufwendiger und ausführlicher aus. Durch die intensive Wiederholung werden die Themen gefestigt und vertieft.

Kein Interesse an spannenden Themen mehr

Ein großes Kontra-Argument bezüglich Prüfungen ist, dass die Schüler*innen nur lernen, um die Prüfungen zu bestehen und im besten Fall gute Noten zu erzielen. Meiner Meinung nach wird den Kindern und Jugendlichen oft jeglicher Spaß an diversen Unterrichtsthemen dadurch genommen, dass sie die bevorstehenden Prüfungen bereits im Hinterkopf haben. Ohne den extrinsischen Prüfungsdruck und den Zwang, würde ein Großteil der Schüler*innen wahrscheinlich viel intrinsischer motiviert lernen und Spaß an der Vor-und Nachbereitung des Unterrichtsstoffes haben. Aus eigener Motivation und eigenem Antrieb heraus schafft man deutlich andere Dinge, als wenn man etwas machen muss, noch dazu unter Zeitdruck. Ich möchte nicht abstreiten, dass ein gewisser Druck bzw. Stress (bis zu einem gewissen Grad) für einige Menschen durchaus positive Auswirkungen haben kann, denn er sorgt für zusätzlichen Antrieb.

Wie umgehen mit so viel Heterogenität?

Damit kommen wir zum nächsten Problem: Alle Schüler*innen (und natürlich alle Menschen) sind individuell. Sie haben verschiedenste Kompetenzen, Bedürfnisse und Lerntempos sowie Lernstrategien, die sich für sie bewährt haben. Wie möchte die Schule Vereinheitlichung aufgeben, um mehr Heterogenität zuzulassen? Wenn alles auf zentrale Abiturprüfungen bzw. Matura hinausläuft, scheint es wenig sinnvoll, dass es in jeder Schule individuell zugeht.

Verschiedene Lehrpersonen bedeuten zwangsläufig bereits eine unterschiedliche Unterrichtsgestaltung und Lernstoffvermittlung. Die Lehrer*innen haben sich zwar weitestgehend an den vorgeschriebenen Lehrplan zu halten, sind aber in ihrer Auswahl der tatsächlichen Themen und der Gestaltung dieser frei. Hinzu kommen noch bestimmte Präferenzen der Pädagog*innen den Schüler*innen gegenüber und umgekehrt, was sich sicherlich auf die Lernatmosphäre und das Lernen selbst auswirkt.

China als Vorreiter?


China hat nun eine grundlegende Veränderung an dem dortigen System vorgenommen. Die Abschaffung der Prüfungen für Erstklässler*innen sind ein erster Schritt, um die körperliche und geistige Gesundheit der Kinder zu verbessern und ihnen Leistungsdruck und Stress zu nehmen. Grund hierfür ist, dass der Leistungsdruck in jungen Jahren der Psyche, sowie dem Körper schadet. Bereits vorher abgeschafft wurden die Hausaufgaben für Erstklässler*innen. Für Schüler*innen höherer Klassen wurde der Umfang der Hausaufgaben deutlich reduziert. Dies stellt einen großen Schritt für das sehr leistungsorientierte China dar.

Nachhilfe macht Bildungsgerechtigkeit unmöglich


Weiterhin soll gegen Nachhilfeschulen in China vorgegangen werden, um den Druck weiter zu reduzieren. Viele Eltern sind versessen darauf, ihr Kind bis an die Grenzen des Möglichen zu fördern und somit auch zu fordern, oder besser gesagt zu überfordern. Doch auch außerhalb der Schule bleiben die chinesischen Kinder nicht vom vorherrschenden Leistungsdruck verschont. Neben der Schule sind außerschulisches Engagement und „Freizeit“-Aktivitäten äußerst wichtig. Nur so lässt sich Erfolg im späteren Leben garantieren. Um all den Anforderungen an einem Tag gerecht zu werden, müssen viele Kinder zwangsläufig bis weit in die Nacht wachbleiben und am nächsten Tag wieder früh aufstehen. Das zieht schwere gesundheitliche Konsequenzen nach sich. Und so landen sie in einem Teufelskreis, bei dem der Leistungsabfall vorprogrammiert ist.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezüglich der Abschaffung der Nachhilfeschulen ist die finanzielle Entlastung und die damit einhergehende Verbesserung der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Durch die hohen Gebühren stehen die Eltern unter enormem Druck und Stress, der sich dann zwangsläufig auch auf die Kinder auswirkt. Durch die Abschaffung der Nachhilfeschulen wird den Eltern diese Last von den Schultern genommen, was sich demzufolge positiv auf ihre Kinder auswirkt.

Leistungsdruck im deutschsprachigen Raum


Schüler*innen stehen auch hier unter einem enormen Leistungsdruck. Dieser wird, laut Umfragen, nicht von den Eltern auferlegt, sondern die Kinder machen ihn sich selber. Die deutliche Mehrheit der Kinder steckt sich sehr hohe Ziele und hat enorme Ansprüche an sich selbst und die eigenen Leistungen. Im Zuge dessen wurde als Ursache dafür erkannt, dass sie die Bedingungen und Ansprüche der Leistungsgesellschaft in der wir leben bereits soweit verinnerlicht haben, dass sich hoher Leistungsdruck aufbaut. Damit einhergehend sind die Angst, zu versagen, die Angst vor schlechten Noten und die Angst vor zukünftiger Arbeitslosigkeit und einem allumfassenden zu schlecht zu Sein für die Welt.

Viele Jugendliche in Österreich empfinden den Leistungsdruck in der Schule oder Ausbildung als sehr hoch. Laut einer Umfrage des Instituts für Jugendkulturforschung gaben bereits 2019 54 Prozent an, dass ihnen der Schul- und Ausbildungsstress „oft zu viel“ werde, wobei sich Mädchen mit 64 Prozent stärker unter Druck fühlen.

Die Folgen von zu viel Stress

Der daraus resultierende Stress kann verheerende psychische und physische Folgen nach sich ziehen. Körperliche Erkrankungen wie Tinnitus, Herzinfarkte usw. werden begünstigt. Es ist unumstritten, dass die Kinder durch den frühen Leistungsdruck in der Schule häufig unter Erkrankungen der Psyche leiden. Hierzu zählen vor allem emotionale Störungen, die soziale Ängste, Phobien, Trennungsängste oder Auffälligkeiten im Sozialverhalten hervorrufen können.

Bis heute wurden in Deutschland und Österreich die Abiturprüfungen, sowie andere Prüfungen nicht abgeschafft und vermutlich wird das auch nicht so schnell passieren. Zumindest in Deutschland wird das Thema immer wieder diskutiert.

Wie stehe ich zu den Prüfungen?

Ich gehöre zu der Sorte Mensch, der auch unter Zeitstress und Druck relativ gut arbeiten kann. Bis zu einem gewissen Grad spornt mich Zeitstress zusätzlich an und gibt mir das letzte bisschen Motivation, das nötig ist. Für mich als Studentin ist es wichtig, mit Stress konstruktiv umgehen zu können und mich nicht von dem Arbeitsaufwand und den Stoffmengen überrollen zu lassen. Da ich in meinem Studiengang weniger mit klassischen Klausuren konfrontiert werde, sondern vielmehr Essays schreiben, Projekte anfertigen, Referate halten oder Vergleichbares zu tun habe und sich diese Aufgaben nicht nur am Ende des Semesters aufstauen, prasselt nicht der geballte Prüfungsdruck auf einmal auf mich ein.

Während der Abiturzeit hat man hat die Möglichkeit, die Fächer zu wählen, die einem am besten liegen und einen interessieren, was eine gute Ausgangssituation für  einen erfolgreichen Schullaufbahn-Abschluss darstellt. Weiterhin hat man die Möglichkeit, seine Interessensbereiche zu vertiefen und sich intensiv mit den Themen auseinanderzusetzen. Das benötigte Wissen summiert sich über die Schuljahre und auch bereits erbrachte Leistungen fließen mit in die endgültige Note ein. Trotzdem kann ich nachvollziehen, dass viele Schüler*innen die Prüfungen am liebsten abschaffen würden. 

Ich denke auch, dass sich Schüler*innen selbst den meisten Leistungsdruck auferlegen. Ich habe nie Druck von außen erfahren, sondern mir selber mehr Stress als nötig bereitet, indem ich mir unnötige Sorgen gemacht habe und sehr hohe Ansprüche an meine eigenen Leistungen hatte (was zum einen positiv, zum anderen negativ ist). Das hat sich bis heute zwar nicht grundlegend geändert, dennoch bin ich jetzt viel entspannter und habe gelernt mein eigenes Können zu erkenne und richtig einzuschätzen. Ich denke, das ist ein Problem, was viele Schüler*innen haben und was man leider viel zu spät begreift. Meiner Meinung nach sollten Kinder und Jugendliche in der Schule mehr unterstützt werden, ihr eigenes Können wahrzunehmen und Selbstvertrauen zu gewinnen. Es könnte auch sinnvoll sein, im Hinblick auf unsere schnelllebige und leistungsorientierte Gesellschaft, Angebote bezüglich des richtigen Umgangs mit Stress und der Stressbewältigung im Hinterkopf zu behalten, anstatt die Kinder immer nur auf Leistung zu trimmen.

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